Teilnachlass der Lehrerin Ruth Gericke übernommen
Am 13. Juli 2010 erhielt das Stadtarchiv von Herrn Christian Kieß aus Bad Honnef den bei ihm überlieferten Teilnachlass von Ruth Gericke. Der Name seiner Patentante steht besonders in Verbindung mit Frankfurts Schulgeschichte. Als Tochter des Mittelschullehrers Karl Gericke (1858-1939) und dessen Ehefrau Emma geb. Kubatz (1867-1941) am 23. November 1899 in Frankfurt (Oder) geboren, absolvierte sie in der Oderstadt nach der Viktoriaschule (Mittelschule für Mädchen), die Augusta-Schule (Lyzeum und Oberlyzeum) und erhielt Ostern 1919 das Reifezeugnis.
1920 folgte die Lehramtsprüfung. Im Jahr darauf begann sie als Vertretungslehrerin an verschiedenen Schulen der Stadt. Anschließend ging Ruth Gericke nach Jena, wo sie im Sommersemester 1924 Vorlesungen über Pädagogik hörte. Hier lernte sie das neue pädagogische Schulkonzept von Peter Petersen (1884-1952) kennen, ein reformpädagogisches Konzept einer staatlichen Schule als Lern- und Lebensort.
Der sog. Jena-Plan sah unter anderem auch eine jahrgangsgemischte Untergruppe vor, worin die Schüler der 1. bis 3. Klasse in der Gemeinschaft zur Selbstständigkeit und Mitverantwortung erzogen werden sollten. Nach einem weiteren Lehrgang mit Abschluss als Hauswirtschaftslehrerin arbeitete sie 1928/29 (und noch einmal für ein Vierteljahr 1933) als Lehrerin an der Universitätsschule in Jena.
Mit der Ablegung der 2. Lehrerprüfung wurde Ruth Gericke 1930 in Frankfurt (Oder) als Lehrerin fest angestellt, arbeitete an der Frankfurter Nikolaischule und anschließend, von 1938 bis zur Schulschließung Anfang 1945, an der Mittelschule. 1930 führte sie an der Nikolaischule, der Volksschule in der Richtstraße, den „Jena-Plan“ ein. Frankfurt gehörte damit zu den sieben Schulstandorten in der Provinz Brandenburg, wo das Konzept frühzeitig Eingang fand.
Mit der erneuten Ingangsetzung des Schulunterrichts am 1. Oktober 1945 begann Ruth Gericke an der Diesterwegschule wieder als Lehrerin zu arbeiten. Sie wechselte 1946 zur August-Bebel-Schule. Ihre eigentliche Erfüllung fand sie ab 1. Sept. 1949 beim Aufbau und als Lehrerin (1954/55 komm. Stellv. Direktorin) der Sonderschule (anfänglich Halbe Stadt 14a), an der sie bis zu ihrem Abschied infolge des erreichten Altersgrenze im Jahre 1960 arbeitete. Drei Jahre nach ihrer Pensionierung zog sie nach Westdeutschland, erst nach Groß-Schwülper, dann nach Rünningen bei Braunschweig. Nach langer Krankheit verstarb sie am 12. September 1982 in Braunschweig.
Sie wohnte bis zur Übersiedlung nach Westdeutschland 1963 im Haus Rosa-Luxemburg-Str.33 (Kaiserstraße 14), welches ihr Vater im Jahre 1901 errichtet hatte.
Aus einem Bericht der Schulkontrolle 1957 (Personalakte der Lehrerin Ruth Gericke, Stadtarchiv, BA II, K 25):
„Besonders hervorzuheben ist die Anschaulichkeit und damit die visuelle Behandlung des Unterrichtsstoffes ihrer 4. Klasse. Die gesehenen Stunden zeigen ferner, dass Erziehung und Bildung bei ihr eine Einheit darstellen und durch die interessante Darbietung des Stoffes jedes Stundenziel erreicht wurde“.
Der Teilnachlass enthält kaum Dokumente, die die pädagogische Tätigkeit von Ruth Gericke betreffen. Er enthält vor allem Briefe von den Eltern und Geschwistern sowie zahlreiche Fotografien. Der Bestand gibt einen Einblick besonders in die frühen Lebensumstände der Pädagogin. Darüber hinaus ermöglichen die datierbaren Fotografien der verschiedenen Generationen der Familie Gericke Rückschlüsse zur frühen Fotografie und den Ateliers in Frankfurt (Oder). Hervorzuheben sind auch die Unterlagen zum Bau des Hauses Kaiserstraße, da die Baupolizeiakte des Frankfurter Magistrats nicht überliefert ist.
Literatur:
Katrin Liebers, Kinder in der flexiblen Schuleingangsphase: Perspektiven für einen gelingenden Schulstart, Wiesbaden 2008 (Diss. Univ. Potsdam, 2007).